artax
N E W S L E T T E R
Autor: Auflage: 20‘000 (elektronisch versendet) |
Dr. iur. Bernhard Madörin Steuer- u. Treuhandexperte Zugelassener Revisionsexperte RAB Zugelassener Versicherungsvermittler FINMA |
Doppelte Doppelbesteuerung:
Neues zum verfassungswidrigen Kreisschreiben Nr. 40 (Teil II)
Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dem artax Newsletter vom 02. Februar 2016 haben wir über die verfassungswidrige Praxis zum Verrechnungssteuergesetz berichtet. Im November 2015 wurde vom Autor ein Artikel in „Finanz- und Rechnungswesen“, einem Fachmagazin des WEKA-Verlages, publiziert mit dem Titel „Verfassungswidriges Kreisschreiben Nr. 40 - Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer“. Die Reaktionen haben gezeigt, dass das Problem gross ist und etwa 50 – 100 Millionen Franken an Steuern pro Jahr so verfassungswidrig einkassiert werden.
Das Kreisschreiben Nr. 40 führt in der Praxis zur Verweigerung der Rückerstattung der Verrechnungssteuer bei Deklarationsmängeln selbst dann, wenn der Steuerpflichtige wegen der vergessenen Deklaration schlechter fahren würde als wenn er alles ordentlich angegeben hätte. Das Verrechnungssteuergesetz geht von einer Mitwirkung der Steuerbehörden und des Steuerpflichtigen aus (gemischtes Veranlagungsverfahren). Das Kreisschreiben Nr. 40 widerspricht dem Verrechnungssteuergesetz, wenn eine fehlerhafte Deklaration sofort und unmittelbar nach der einmaligen Abgabe der Steuererklärung zur Verwirkung des Anspruchs führt.
Ordnungsgemässe Deklaration bei qualifizierten Beteiligungen
Die steuerliche Situation eines KMU-Inhabers sieht für die Deklaration seiner Beteiligung wie folgt aus:
Dividende aus dem Geschäftsjahr 2014, beschlossen im Frühling 2015, bezahlt im Frühling 2015.
Der Dividendenbeleg sieht wie folgt aus:
Dividendengutschrift: 100‘000
Abzüglich Verrechnungssteuer: – 35‘000
Nettogutschrift: 65‘000
Erfasst in der Steuerdeklaration 2015, hier vereinfacht dargestellt:
Einkommen 2015 Dividende 100‘000, davon 50% steuerbar, somit 50, gerundet 10% Bundessteuer und 20% Kantonssteuer ergibt eine Steuer von 15‘000
Gutschrift der Verrechungssteuer: 35‘000
Die Steuerabrechung sieht wie folgt aus:
Steuern zu zahlen: 15‘000
Gutschrift Verrechnungssteuer: 35‘000
Nettogutschrift: 20‘000
Dividende nach Steuern und Gutschrift Verrechnungssteuer: 85‘000
Pro Memoria I: Nettosteuerbelastung: 15% somit 15‘000.
Pro Memoria II: Damit ein Gewinn von 100‘000 ausgeschüttet werden kann musste dieser Gewinn versteuert werden, womit bereits rund 20‘000 - 25‘000 an Gewinnsteuern durch die AG bezahlt wurden. Die kumulierte Steuerbelastung entspricht so etwa der direkten Steuerbelastung, wie wenn das ganze Gewinnsubstrat als Lohn durch den Inhaber bezogen worden wäre. Das Ziel der Unternehmenssteuerreform II war, die steuerliche Doppelbelastung von AG und Inhaber zu minimieren, was grundsätzlich durch die reduzierte Besteuerung gelungen ist. Dies hier ist eine vereinfachte Darstellung, je nach Kanton und Progression sind die Ergebnisse konkret zu berechnen.
Unterlassene Deklaration
Nicht jede unterlassene Deklaration führt zu einer Steuerverkürzung. Hier ist es gerade umgekehrt. Wenn der Aktionär vergisst seine Dividende anzugeben, passiert folgendes:
Dividendengutschrift: 100‘000
Abzüglich Verrechnungssteuer: – 35‘000
Nettogutschrift: 65‘000
Hätte er deklariert, wäre das Ergebnis:
Steuern zu zahlen: 15‘000
Gutschrift Verrechnungssteuer: 35‘000
Nettogutschrift: 85‘000
Steuernachteil:
Netto 65‘000 zu netto 85‘000, somit Verlust 20‘000.
Fazit: Jeder KMU Inhaber hat ein Interesse seine Dividende aus seinem Betrieb zu deklarieren, ansonsten er erheblich Geld verliert.
Verfassungswidriges Kreisschreiben Nr. 40
Wenn nun die Steuerverwaltung einen Deklarationsfehler zur Dividende bemerkt, führt dies neu sofort zum Untergang der Rückerstattung der Verrechnungssteuer. Von 1965 mit Einführung des Verrechnungssteuergesetzes bis zum fragwürdigen Bundesgerichtsentscheid von 2010 wurden Differenzen bei der Deklaration von verrechnungssteuerpflichtigen Erträgen im gemischten Verfahren abgeklärt. Erst nach Eintritt der Rechtskraft ging der Rückerstattungsanspruch unter. Neu führt jeder Verschrieb sofort zur Verwirkung. Die Steuerabrechnung sieht wie folgt aus:
Dividende: 100‘000
Abzüglich Einkommenssteuer: 15‘000
Abzüglich Verrechnungssteuer: 35‘000
Rückerstattung Verrechnungssteuer: 0
Netto verbleibend: 50‘000
Steuernachteil:
Netto 50‘000 zu netto 85‘000, somit Verlust von 35‘000.
Obwohl der Deklarationsmangel nie im Interesse des Steuerpflichtigen sein kann, kassiert er eine Strafe, die Verwirkung des Anspruches auf Rückerstattung. Verfassungsmässig wäre eine Verfahrensbusse von, als Beispiel 500 und die volle Gutschrift. Die Erfolgsstrafe wurde mit Einführung des schweizerischen Strafgesetzbuches zu Beginn des letzten Jahrhunderts abgeschafft, nicht so im Steuerwesen.
Neu zusätzlich Strafsteuern
Die Kreativität der Steuerbehörden noch mehr Geld einzutreiben hat nun durch die Praxis, im Falle von Deklarationsfehlern Strafsteuern zu erheben, an Intensität zugenommen. So hat, als Beispiel, der Kanton Graubünden begonnen in solchen Fällen Strafsteuern zu erheben (StV GR, Abteilung Kommissariat, i.S. xy vom 30.06.2016).
Die Steuerabrechnung sieht dann wie folgt aus:
Dividende : 100‘000
Abzüglich Einkommenssteuer: 15‘000
Abzüglich Strafsteuer, in der Regel 100%: 15‘000
Abzüglich Verrechnungssteuer: 35‘000
Rückerstattung Verrechnungssteuer: 0
Netto verbleibend: 35‘000
Steuernachteil:
Netto 35‘000 zu netto 85‘000, somit Verlust von 50‘000.
Obwohl eine Fehldeklaration hier nie zum Vorteil des Steuerpflichtigen sein kann, wird er gleich wohl doppelt bestraft, einmal durch die Strafsteuer und einmal durch die Verweigerung der Rückerstattung der Verrechnungssteuer.
Als nächstes dürfte dann noch eine Busse nach Verrechnungssteuergesetz dazukommen, zum Beispiel nach Art. 64 VstG von 5‘000.
Hoffnungsschimmer
Bei den eidgenössischen Räten hat die Praxis dazu geführt, dass Eingaben eingereicht wurden: die Motion Daniela Schneeberger „Keine Verwirkung der Verrechnungssteuer“ und die Parlamentarische Initiative von Luzi Stamm „Verrechnungssteuergesetz, gemischtes Verfahren“. Ziel ist die Wiedereinführung der Praxis, wie sie zuvor angewandt wurde. Ein faires Verfahren unter Mitwirkung der Verwaltung und des Steuerpflichtigen mit dem Ziel einer fairen Besteuerung.