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N E W S L E T T E R

 


Autor:

Auflage: 20‘000
(elektronisch versendet)
  Dr. iur. Bernhard Madörin
Steuer- und Treuhandexperte
Zugelassener Revisionsexperte RAB
Zugelassener Versicherungsvermittler FINMA
   

 

Überraschung bei internationalen Arbeitsverhältnissen im Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Damen und Herren

Der Schreibende durfte für den Arbeitgeberverband Basel zusammen mit lic. iur. Marc Borer, schweizerischer Referent der Trinationalen Beratungsstelle Infobest Palmrain, ein Seminar durchführen mit dem Thema „Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse: Sozialversicherungs- und steuerrechtliche Aspekte“. Das Seminar erhielt grossen Zulauf und wurde zweimal abgehalten. Hier dargestellt werden die sozialversicherungsrechtlichen Aspekte. Ein Teil des Inhaltes stammt vom Seminar (und dient zugleich als Quellenhinweis).

Das Prinzip der Zuordnung
Ein Land, ein Vorsorgesystem. Mit diesem Grundsatz ist das Sozialversicherungssystem bei internationalen Verhältnissen vollkommen neu orientiert. Man spricht dabei von der öffentlich-rechtlichen Anknüpfung im internationalen Sozialversicherungsrecht.

Es sieht ganz unscheinbar aus. Es handelt sich um folgende Normen:
VO (EU) Nr. 883/2004  (SR 0.831.109.268.1)
VO (EU) Nr. 987/2009  (SR 0.831.109.268.11)
sowie das Freizügigkeitsabkommen CH/EU (FZA) (SR 0.142.112.681)

Koordination, nicht Vereinheitlichung ist das Ziel. Jedes Land behält Struktur, Art und Umfang der Beiträge und der Leistungen. Mit der Zuordnung des massgebenden Landes hat es Geltung für alle gesetzlichen Regelungen über den Sozialversicherungsschutz, ein Land und ein System. Diese Ordnung ersetzt die bestehenden zwischenstaatlichen Abkommen der Schweiz mit den EU-Ländern. Das Landesrecht gilt immer nur unter und nach Massgabe des internationalen Rechts, womit das Primat des Völkerrechts gilt.

Die systematische Durchsetzung der Zuordnung hat sich noch nicht durchgesetzt. Während bei den Steuerhoheiten seit rund 100 Jahren internationale Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bestehen und praktiziert werden, ist dies bei den Sozialversicherungen eine neue Disziplin. Die grossen Fälle stehen erst an, wenn z.B. bei einer grossen Firma mit einigen tausend Mitarbeitenden festgestellt wird, dass 15% der Belegschaft, z.B. 20% der Grenzgänger mit Homeoffice, nicht der Schweizerischen sondern der französischen Sozialgesetzgebung unterliegen!

Der Normalfall „Grenzgänger“
Für Staatsangehörige der Schweiz oder eines EU-Staates, die nur in einem Staat erwerbstätig sind, unterstehen sie dem Sozialversicherungssystem dieses Staates (Erwerbsortprinzip), wie bisher. Dazu ein klassisches Beispiel: Der Grenzgänger, welcher in Frankreich wohnt und in Basel arbeitet, zahlt über seinen Schweizer Arbeitgeber in die schweizerischen Systeme der sozialen Absicherung ein (AHV, PK, ALV, UV). Der Schweizer Arbeitgeber rechnet mit den ihm bekannten Trägern und Kassen ab. An diesem wohlbekannten Fall ändert sich nichts.

25%-Regel
Die Definition des Begriffs „Erwerbsort“ ist der Ort der effektiven Ausübung der Tätigkeit „wo die Arbeit konkret/physisch geleistet wird“. Daraus folgt die Konsequenz, dass Arbeit von zu Hause aus (Homeoffice), als im Wohnland geleistet gilt, unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers oder dem des Arbeitsverhältnisses zugrunde liegenden Arbeitsrechts. Daraus ergeben sich Probleme, was nachfolgend aufgezeigt wird.

Das Problemfeld ist die Mehrfachbeschäftigung. Staatsangehörige der Schweiz oder eines EU-Staates, die Erwerbstätigkeiten gleichzeitig in mehreren Staaten ausüben, sind grundsätzlich dem Sozialversicherungssystems des Wohnsitzstaates unterstellt. Diese Zuordnung gilt für alle Erwerbsverhältnisse, ausser wenn im Wohnsitzland weniger als 25% gearbeitet wird. Wenn also ein französischer Grenzgänger in der Schweiz angestellt ist, aber pro Woche einen Tag Homeoffice machen darf und zudem noch 4 Tage pro Monat französische Kunden besucht, dann sind es schon mehr als 25%, und Frankreich ist für alle Sozialversicherungen zuständig. Das Beispiel zeigt, dass dies sehr rasch passieren kann.

Weitere Zuordnungsregeln

Staatsangehörige der Schweiz oder eines EU-Staates, die gleichzeitig eine Tätigkeit im Angestellten- und Selbstständigkeitsverhältnis in verschiedenen Staaten (Schweiz und EU) ausüben, sind den Rechtsvorschriften des Staates unterstellt, in welchem die Person eine Angestelltenfunktion ausübt.

Staatsangehörige der Schweiz oder eines EU-Staates, die für mehrere Arbeitgeber arbeiten, von denen mindestens zwei ihren Sitz in verschiedenen Staaten (Schweiz und EU) ausserhalb des Wohnsitzstaates haben, sind den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates unterstellt, auch wenn Sie keinen wesentlichen Teil Ihrer Erwerbstätigkeit dort ausüben.

Ein paar Praxisfälle:

  • 80%-Anstellung in CH + 1 Tag pro Woche Arbeit im Wohnland, ein Tag entspricht 20%, somit Arbeitgeberland.
  • 60%-Anstellung in CH + 1-2 Tage pro Woche Arbeit im Wohnland, ein Tag entspricht mehr als 25%, somit Wohnsitzland.
  • 50%-Anstellung in CH + 50% selbständige Tätigkeit im Wohnland, Anstellung geht vor, somit Arbeitgeberland.
  • 20%-Anstellung in CH + 80% selbständige Tätigkeit im Wohnland, Anstellung geht vor, somit Arbeitgeberland.
  • 50%-Anstellung in CH + 50% Anstellung in D, Mitarbeitende wohnt in F, Klärung der Zuteilung ist notwendig.
  • 100%-Anstellung in CH, davon 2 Tage pro Woche im Homeoffice ausserhalb CH, die zwei Tage entsprechen mehr als 25%, Wohnland geht vor.

Konfrontation und Überschneidungen
Geringfügige Nebentätigkeiten (unter 5% des Gesamtpensums od. weniger als 2h/Woche) werden nicht berücksichtigt. Allerdings ist dies eine Praxisvorgabe, und keine gesetzliche, womit Konfrontationen in der Anknüpfung möglich sind.

Wenn der Mitarbeitende dem Versicherungssystem des Wohnlandes unterstellt ist, müssen sämtliche Sozialabgaben nicht über die CH-Ausgleichskasse, sondern über den zuständigen Träger im Wohnland des Mitarbeitenden abgerechnet werden.
Achtung: Es gilt das Sozialversicherungsrecht des Wohnlandes! (Art, Höhe der Beiträge). Ansprechpartner im Ausland kontaktieren (AG).
Deutschland: gesetzliche Krankenversicherung (Abteilung für Firmenkunden)
Frankreich: URSSAF (www.urssaf.fr)

Hier liegt dann auch die Schwierigkeit dieser Regelung. Während die meisten europäischen Sozialversicherungen zwar höhere Prozentsätze kennen als die Schweiz, haben diese doch eine Obergrenze bei 60-70‘000 EUR, während die Schweizerischen Sozialversicherungen, insbesondere AHV, keine Limite kennen. Ein Deutscher Unternehmer beispielsweise unterliegt nach deutschem Sozialversicherungsrecht als Selbstständiger keiner Sozialversicherung und muss seine Vorsorge selbst organisieren. Wenn er aber einer schweizerischen Verwaltungsratstätigkeit nachgeht, ist er neu in der Schweiz sozialversicherungspflichtig. Obwohl die Person in Deutschland bei seinen Gesellschaften angestellt ist, qualifiziert Deutschland diese Tätigkeit als selbstständige. Die Schweiz übernimmt diese Qualifikation und sendet für das ganze Bruttoeinkommen eine Sozialbeitragsrechnung. Das kann teuer zu stehen kommen.

Kein Schutz über Vertragsvorgaben
Arbeitsverträge können zwar vorsehen, dass der Arbeitnehmende jede weitere Arbeitstätigkeit melden muss, was jedoch an der zwingenden öffentlich-rechtlichen Vorgabe nichts ändert. Wenn also jemand zu 80% für eine schweizerische Firma arbeitet, und dann stellt sich heraus, dass der Arbeitnehmer Samstag und Sonntag im Restaurant des Bruders im Ausland aushilft, entsteht ein Konflikt.

Fazit
Die Anknüpfung der internationalen Sozialversicherung, ist ein komplexer Prozess und eine frühzeitige und vorsichtige Planung vereinfacht vieles und verhindert Überraschungen.