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N E W S L E T T E R

 


Autoren:

Auflage: 17’000
(elektronisch versendet)
  lic.rer.pol. Urs Fischer
Treuhänder / MWST-Spezialist STS
Zugelassener Revisor RAB
  Carmen Kuhn
Fachfrau im Finanz- u. Rechnungswesen mit eidg. FA
Zugelassene Revisorin RAB

 

Das Märchen vom Freelancer

Sehr geehrte Damen und Herren

Bei unserer Revisionstätigkeit stossen wir ab und zu auf Situationen, in denen ein Unternehmen jemanden für seine Arbeitstätigkeit bezahlt, aber keine Sozialversicherungen abrechnet. Auf unsere Nachfrage erfahren wir dann jeweils, das sei schon korrekt, weil es sich um einen Freelancer handelt. Leider verstecken sich hinter dem vermeintlich so vorteilhaften Freelancer erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken. Im Folgenden haben wir deshalb die wichtigsten Fakten dazu zusammengestellt.

Was ist ein Freelancer?

Im Volksmund ist ein Freelancer ein freier Mitarbeiter, der als formell selbstständig Erwerbender auf eigene Rechnung in einem Betrieb mitarbeitet und dort faktisch die Rolle eines Angestellten einnimmt. Statt Lohn erhält er ein Honorar. Zu den vermeintlichen Vorteilen gehören einerseits die hohe Flexibilität, da das Arbeitsrecht inklusive Kündigungsschutz und Lohnfortzahlungspflichten nicht gilt, anderseits spart der Einsatzbetrieb die Sozialversicherungsbeiträge, da sich der Freelancer selber darum kümmern sollte. So weit jedenfalls das Märchen vom Freelancer. Doch die Realität ist ganz anders.

Wie sind Freelancer rechtlich geregelt?

Im rechtlichen Sinn gibt es den Freelancer nicht. Es wird nur unterschieden zwischen unselbstständiger und selbstständiger Tätigkeit.

Unselbstständig ist die Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, das heisst im Betrieb und unter der Weisungsbefugnis und Verantwortung des Arbeitgebers. Dafür entrichtet der Arbeitgeber einen Lohn, kümmert sich um alle Sozial- und Personalversicherungen und erstellt einen Lohnausweis.

Der selbstständig Erwerbende hingegen führt seinen eigenen Betrieb, trägt das unternehmerische Risiko und kümmert sich selbst um seine Sozialversicherungen. Statt eines Lohnausweises erstellt er eine Jahresrechnung und ermittelt so seinen Gewinn.

Wo liegt die Grenze zwischen selbstständig und unselbstständig?

Die Abgrenzung der beiden Kategorien ergibt sich aus der AHV-Gesetzgebung und wird auch von den AHV-Behörden kontrolliert. Selbstständig Erwerbende treten am Markt unter eigenem Namen auf, können die Organisation ihres Betriebs frei wählen, arbeiten mit ihren eigenen Betriebsmitteln, und sind für eine Vielzahl von Kunden tätig. Oft beschäftigen sie auch selber Angestellte. Wer die Kriterien für Selbstständigkeit nicht erfüllt, ist per Definition unselbstständig und damit Arbeitnehmer.

In vielen Fällen sind diese Kriterien so offensichtlich erfüllt, dass sich weitere Abklärungen erübrigen. Dies zum Beispiel beim Kauf eines Tischs zum Festpreis, den ein Schreiner in seiner eigenen Werkstatt mit seiner Säge und seinen Mitarbeitenden erstellt hat. Sie sind auch erfüllt, wenn ein Gartenbauunternehmen zwei Mal im Jahr meinen Garten unterhält, auch wenn dies auf meinem Grundstück erfolgt und ggf. nach Stunden abgerechnet wird.

Wesentlich schwieriger wird die Abgrenzung bei Tätigkeiten, die alleine und über eine längere Zeit im Kundenbetrieb erbracht werden, und bei denen entweder keine besonderen Betriebsmittel benötigt werden oder die Arbeit auf der Infrastruktur des Kunden erbracht werden muss. Damit finden wir uns in der Informatik, den Beratungsdienstleistungen aller Art sowie den Verkaufsdienstleistungen auf Provisionsbasis – allesamt Branchen, die sich als besonders anfällig für Freelancer erweisen.

In solchen Situationen prüfen die AHV-Behörden den Einzelfall anhand der tatsächlichen Verhältnisse und stellen vor allem auf die Anzahl der Kundenbeziehungen ab. Hier gilt je mehr desto besser, wobei in der Praxis mindestens drei Kunden erforderlich sind und mit dem grössten Kunden deutlich weniger als die Hälfte des Umsatzes erzielt werden muss. Ansonsten ist die Abhängigkeit von einem Kunden zu gross, und es wird ein Arbeitsverhältnis unterstellt. Wird eine Person formell als Selbstständiger tätig, obwohl faktisch ein Arbeitsverhältnis vorliegt, reden wir von Scheinselbstständigkeit.

In einem - auch faktischen - Arbeitsverhältnis gilt der Arbeitnehmer als die schwächere Partei und geniesst deshalb besonderen rechtlichen Schutz. Das bedeutet, dass Verstösse gegen arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Vorschriften regelmässig dem Arbeitgeber zugerechnet werden. Die vertragliche Überwälzung der Abklärungs- und Sozial­ver­sicherungspflicht auf den Freelancer funktioniert damit nicht.

Wo liegen die Risiken?

Anlässlich der regelmässigen AHV-Arbeitgeberkontrollen erleben wir, dass gezielt nach solchen Konstellationen gesucht wird, und Sie riskieren, dass die fehlenden AHV-Beiträge (sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteil) bis zu 5 Jahre zurück nacherhoben werden. Als Folge davon müssen auch die Unfallversicherungsbeiträge nachbezahlt werden und der Mitarbeiter ggf. einer Pensionskasse angeschlossen werden. Da private Pensionskassen dies meist rückwirkend nicht zulassen, bleibt nur die extrem teure Stiftung Auffangeinrichtung.

Falls der Freelancer wenigstens selber AHV-Beiträge abgerechnet hat, kann versuchsweise damit argumentiert werden, dass die AHV doch abgerechnet wurde und nur die Differenz zwischen den tieferen Beiträgen für selbstständig Erwerbende und den regulären Beiträgen nachzuzahlen sei. Falls er sich weder bei der AHV angemeldet noch Beiträge bezahlt hat, dann finden Sie sich plötzlich unverhofft in der Welt der Schwarzarbeit mit ihren strengen Strafbestimmungen. Noch schlimmer kommt es, wenn der Freelancer einen Unfall mit Invaliditätsfolge hat, den Sie hätten versichern müssen und mangels Unfallversicherung selber schadenersatzpflichtig werden.

Der Personalverleih als zusätzliche Komplikation

Gerade in der Informatikbranche werden häufig Personen beschäftigt, um sie längerfristig bei einem Kunden einzusetzen und organisatorisch in den Einsatzbetrieb einzugliedern. Dieser sogenannte Personalverleih ist bewilligungspflichtig und Personalverleiher müssen für die Bewilligung eine Kaution von mindestens CHF 50’000 hinterlegen (dies gilt auch, wenn nur eigene, regulär angestellte Mitarbeitende verliehen werden).

Grundsätzlich schliessen sich selbstständiger Erwerb und Personalverleih gegenseitig aus. Falls also Freelancer beschäftigt und weiter verleihen werden, kommen zu den obigen Risiken noch Verstösse gegen die Regeln des Personalverleihs hinzu, die über den Entzug der Bewilligung bis zu Bussen gegen den Einsatzbetrieb (dh. Ihren Kunden) reichen. Als einzigen legalen Ausweg müsste der Freelancer eine eigene GmbH gründen, sich selber anstellen und ebenfalls eine Bewilligung zum Personalverleih erhalten. Zumindest aufgrund der Kautionspflicht ist das nicht praktikabel, und es führt auch hier kein Weg an einer korrekten Anstellung vorbei.

Wie kann ich mich absichern?

Angesichts der genannten rechtlichen und finanziellen Risiken gilt es, die Beschäftigung von Scheinselbstständigen unbedingt zu vermeiden. Prüfen Sie am besten systematisch, ob Sie in Ihrem Unternehmen problematische Konstellationen haben, und klären Sie die Anerkennung als Selbstständige in jedem Einzelfall ab.

Hierzu stellen die zuständigen AHV-Ausgleichskassen Selbstständigkeits-bescheinigungen aus, die Sie von Ihrem Auftragnehmer unbedingt vor Beginn der Tätigkeit einfordern sollten. Ein Handelsregistereintrag oder eine eigene MWST-Nummer sind gute Hinweise auf echte Selbstständigkeit, vermögen jedoch die Bestätigung der AHV nicht zu ersetzen.

Achtung: Die Bestätigung der AHV belegt nur, dass die Person im Grundsatz selbstständig tätig ist und selber AHV-Beiträge abrechnet. Trotzdem kann der Einsatz bei Ihnen immer noch unselbstständig sein, wenn durch den Umfang, die Dauer oder die organisatorische Eingliederung in Ihren Betrieb eine zu grosse Abhängigkeit entsteht. In solchen Fällen empfehlen wir, den konkreten Einzelfall bei der zuständigen AHV-Ausgleichskasse vorzulegen und eine verbindliche Beurteilung einzuholen.

Dieser Newsletter vermag nur einen allgemeinen Überblick über die komplexe Welt der Sozialversicherungen zu geben, der eine vertiefte Analyse des Einzelfalls nicht ersetzen kann. Falls Sie in Ihrem Betrieb Handlungsbedarf sehen oder weitere Fragen zur Thematik haben, stehen Ihnen unsere Spezialisten gerne zur Verfügung.