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N E W S L E T T E R

 


Autor:

Auflage: 17’000
(elektronisch versendet)
  Dr. iur. Bernhard Madörin
Steuer- u. Treuhandexperte
Zugelassener Revisionsexperte RAB
Zugelassener Versicherungsvermittler FINMA
   

 

Strafsteuern: EMRK-widriges Verfahren und drakonische Strafen

Sehr geehrte Damen und Herren

Aus aktuellem Anlass möchten wir vorweg auf einen Artikel in der Sonntagszeitung hinweisen. Bernhard Madörin hat für eine Fluggemeinschaft von 80 Personen eine Verspätungsentschädigung von je 400 Euro erkämpft. Die Sonntagszeitung schreibt: "Eine Sensation und ein Meilenstein" (hier).

95% der Steuerentscheide gehen zulasten der Steuerpflichtigen. Dies geht nicht zurück auf eine formell oder materiell schlechte Ausgangslage der Steuerpflichtigen, sondern ist ein systemimmanenter Mangel des Steuerverfahrens und des Verfahrens vor den Steuergerichten. Alle Behördenmitglieder der Verwaltung und alle Richter werden von der öffentlichen Hand bezahlt. Es ist deshalb offensichtlich, dass die Praxis der Gerichte und der Steuerverwaltungen fiskalisch motiviert und grundsätzlich staatsfreundlich orientiert sind. Der Bürger und Steuerpflichtige hat das Nachsehen.

Ganz dramatisch ist diese unveränderte Ausgangslage im Steuerstrafrecht: Auch hier dominieren fiskalisch motivierte Entscheide. Verfahrensrechte, Unschuldsvermutung und EMRK sind de facto ausser Kraft gesetzt. Die Folge von solchen Steuer-Exzessen ist materieller Notstand und eine Enteignung jeglichen Vermögens im Namen der Steuergerechtigkeit. Anhand einiger Beispiele möchte ich Ihnen im Folgenden die Steuerinquisition darlegen.

Formelle Verfahrensrechte
Die grössten Defizite liegen in den formellen Verfahrensrechten des Beschuldigten. Diese werden mit wenigen Ausnahmen (rechtliches Gehör, Akteneinsicht) nicht gewährt (Beweisverwertungsverbot, Ausstand, etc.). Mir ist kein einziger Steuerentscheid bekannt, bei dem ein formeller Verfahrensmangel den materiellen Steueranspruch aufgehoben hätte. Was auch immer an unzulässigen oder illegalen Ermittlungen dem Verfahren zugrunde liegt, am Schluss wird die Nach- und Strafsteuer dennoch in Rechnung gestellt, das materielle Recht dominiert.

Kein unabhängiger Steuerrichter bei der Strafsteuer
Je nach Kanton wird das Strafsteuerverfahren und das Nachsteuerverfahren von der gleichen Person eröffnet, untersucht und entschieden. Oft ist es sogar die Person, welche bereits die Veranlagungen der Vergangenheit betreut hat. Die Frage, ob der Steuerbeamte allfällige Tatsachen bereits früher hätte erkennen können, und sich damit das Strafsteuerverfahren ausschliessen würde, wird natürlich verneint und ein objektives Urteil ist gar nicht möglich. Die Ämterkumulation ist gemäss EMRK unzulässig, wird jedoch nach wie vor praktiziert. Es ist fiskalisch am ergiebigsten, wenn eine Person veranlagt, untersucht, ermittelt, und dann die Nach- und Strafsteuer festlegt.
Die Steuerverwaltung als Strafsteuerbehörde ist auch die einzige strafurteilende Behörde, welche in eigener Sache urteilt. Sie war Opfer einer Steuerdefraudation, urteilt über den Delinquenten und beurteilt so über sich selbst als Opfer eines Deliktes.

Keine schuldabhängige Strafsteuer
Geradezu grotesk ist die Pauschalierung der Strafsteuer oft im Gesetz bereits festgelegt. Bei einer Nachsteuer beträgt die Busse mindestens einen Bruchteil der Nachsteuer (ein Drittel, die Hälfte, ein Ganzes, das Fünffache), wobei weitere Zuschläge folgen. Vor allem die erste Stufe der Strafsteuer ist höchst bedenklich, denn selbst ohne Verschulden erfolgt die Bestrafung.

Drakonische Strafsteuer
Als Beispiel wird von einem gutverdienenden Steuerpflichtigen ausgegangen. Er bezahlt 12% Bundessteuern und rund 25% Kantonssteuern. Mit der Vermögenssteuer, der Kirchensteuer etc. wird das zu rund 40% seines Einkommens.

Eine Strafsteuer über mehrere Bezugsjahre erreicht so schnell einmal ein Jahreseinkommen oder sogar ein mehrfaches davon. Dies entspricht einer unbedingten Strafe von mindestens einem Jahr in Tagessätzen. Dafür müsste im ordentlichen Strafrecht bereits eine erste, erhebliche Straftat begangen worden sein, da eine erste Strafe in der Regel auf Bewährung ausgesprochen wird. Der Vergleich zeigt offensichtlich die dramatische Härte der Bestrafung. Die Strafsteuer entspricht ohne Not dem eines wiederholten qualifizierten Betruges (als Beispiel). Von einem Kavaliersdelikt kann im Steuerrecht keine Rede sein.

Kein Erlass der Strafsteuer
Die Steuerverwaltung erlässt in der Regel keine Strafsteuern, auch wenn diese etliche Jahre oder mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen. Die Unerbittlichkeit ist unmenschlich und verunmöglicht jedem Strafsteuerverurteilten auf lange Zeit eine wirtschaftliche Entwicklung. Weil die Strafsteuer rigoros einkassiert und vollzogen wird, kommen auch die laufenden Steuern in Verzug. Auf diese Weise kann so zum Beispiel ein Strafsteuerbescheid eines 55-Jährigen sich bis zu einigen Jahren nach der Pensionierung hinziehen, wobei er erst dann wieder über frei verfügbares Einkommen verfügen kann.

In einem neueren Entscheid wurde die Vererbbarkeit der Steuerbussen abgeschafft. Die Rechtssprechung im Strafsteuerrecht hinkt gegenüber dem zivilen Strafrecht bezüglich der Gewährung eines fairen Verfahrens um Jahrzehnte hinterher.

Inexistentes Bankgeheimnis
Dadurch, dass Banken auf erste Anfrage hin und ohne Anhörung des Kunden umfassende Auskunft an die Staatsanwaltschaft und teilweise auch an Steuerbehörden erteilen, ist das Bankgeheimnis faktisch aufgehoben. Der laut gepflegte Unterschied von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug wird landesintern kaum beachtet. Auch das Steuergeheimnis erscheint inexistent, da die Steuerverwaltung ebenfalls auf erste Anfrage hin jeder anderen Behörde umfassend Auskunft erteilt. Die in den Gesetzen und Verordnungen formulierten formalen Anforderungen werden nonchalant übergangen.

Ein Beispiel dafür ist der Fall Dieter Behring, welcher bei den Strafuntersuchungsbehörden seit rund 10 Jahren hängig ist, also noch keine Anklage vorliegt. Bei der Aktenbeschlagnahme kamen etliche unversteuerte Depots zu Tage. Die Nach- und Strafsteuerverfahren sind alle abgeschlossen und zahlreiche Personen mussten auf nicht mehr vorhandenem Vermögen Steuern und Busse zahlen. Der Staat ist zu seinem Geld gekommen, die Geschädigten nicht. Und ob die Aktenbeschlagnahme sich schlussendlich materiell aufgrund eines Verbrechens rechtfertigt, ist offen. Die Beweisverwertung im Steuerverfahren ist realisiert. Eine Anklage von Dieter Behring steht noch aus, die mutmassliche Deliktsumme beträgt gegen eine Milliarde Franken.

Unfaires Verfahren
Alleine schon die Vermutung einer Hinterziehung setzt ein rigoroses Durchgreifen der Steuerverwaltung in Gang. Was nicht bewiesen werden kann, wird mit einer Ermessenseinschätzung festgelegt. Das kann auch schon soweit gehen, dass eine unangefochtene Ermessenseinschätzung zur Eröffnung eines Nach- und Strafsteuerverfahrens der Vergangenheit führt. Das Ermessen führt dann zu einer Ermessensstrafsteuer.

Weitere Verfahrenshindernisse können sein: Keine Befragung von Zeugen, Einschränkung der Akteneinsicht, Verweigerung von Beweisannahmen, Abweisung von Gegenbeweisanträgen, summarisches Beweisverfahren zugunsten der Steuerverwaltung, Fristnot für den Beschuldigten, Steuerarrest, etc.

Die Steuerverwaltung ist in einem Strafsteuerverfahren in eigener Sache tätig. Sie ist Opfer eines Steuerdeliktes und sie ermittelt als Betrogene für sich selbst gegen den Steuerpflichtigen. Da kann auch schon mal nachgeholfen werden. Bei einem Fall stand es im vorsorglichen Inkasso ungünstig für die Steuerverwaltung. Die zuständige Steuerbeamtin hat dann im Arrestverfahren eine Steuerverfügung eingelegt, datiert und per „EINSCHREIBEN“ versehen. Daraufhin wurde interveniert, dass diese Verfügung nie eröffnet wurde und dass damit der Abschluss des Nach- und Strafsteuerverfahrens suggeriert wurde. Der Antrag, diese Verfügung aus den Akten zu nehmen, obwohl nie eröffnet, wurde von der Steuerrekurskommission Basel-Stadt nicht behandelt. Eine gegen diese fiktive Steuerveranlagung erhobene Strafanzeige wegen Urkundendelikten wurde von demselben Staatsanwalt abgelehnt, welcher mit der Steuerbeamtin den Fall aufgegriffen hat. Das Appellationsgericht hat die Befangenheit abgelehnt. Der Fall zeigt, dass formelle Verfahrensrechte selten eine Rolle spielen und der Steuerpflichtige meistens nur materiell beurteilt wird.

Im internationalen Vergleich
In materieller Hinsicht zeigt ein Blick über die Grenze, dass die Schweiz im Vergleich ein hartes Steuerregime führt: Zehn Jahre für Nach- und Strafsteuern ist ein Spitzenwert. International üblich sind drei bis fünf Jahre.

Das angelsächsische Recht und auch das deutsche Recht sind bezüglich formeller Rechte weitaus gerechter. Hier kann es schon mal vorkommen, dass eine Strafsteuer aufgrund einer formellen Beurteilung nicht gewährt wird, was in der Schweiz undenkbar ist.

Fazit
Das Strafsteuerverfahren erfolgt nicht nach den Regeln eines fairen Verfahrens. Die Ämterkumulation bei den Steuerbehörden ist fatal. Der Strafanspruch des Staates unterliegt keinen formellen Grenzen.

De lege ferrenda
Das materielle Strafsteuerverfahren sollte mittels des Steuerharmonisierungsgesetzes schweizweit geregelt werden. Busse und Steuer müssen entkoppelt werden, die Strafe muss sich nach dem Verschuldensprinzip orientieren. Der Strafrahmen sollte sich nach dem ordentlichen Strafrecht orientieren. Für das formelle Strafverfahren sollte die Schweizerische Strafprozessordnung massgebend sein und unabhängige Steuerstrafgerichte sollten die Strafurteile fällen.

Dr. iur. Bernhard Madörin
Der Autor ist promovierter Jurist, Revisions- und Steuerexperte. Er hat rund 20 Bücher veröffentlicht, den Grossteil auf dem Gebiete Gesellschaftsrecht, Steuern und Wirtschaftsprüfung. Herr Madörin ist in rund 50 Exekutivgremien und ist mit der Organisation und Kontrolle von grösseren Betriebseinheiten vertraut. Seine berufliche Tätigkeit führt ihn auch in den Bereich der Steuerdelikte (Expertisen, Analysen).