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N E W S L E T T E R

 


Autor:

Auflage: 17’000
(elektronisch versendet)
  Dr. iur. Bernhard Madörin
Steuer- u. Treuhandexperte
Zugelassener Revisionsexperte RAB
Zugelassener Versicherungsvermittler FINMA
   

 

Wirtschaftsdelikte: Strafbare und nichtstrafbare Champagnermarken

Sehr geehrte Damen und Herren

Die artax Fide Consult AG berät Unternehmer und Unternehmen im Bereich Wirtschaftsdelikte, darin auch eingeschlossen Steuerdelikte.

Im Strafrecht werden einerseits das Verfahrensrecht (die Strafprozessordnung, kurz StPO), die eigentliche Strafuntersuchung mit der Möglichkeit von Beschwerden und Rügen, und andererseits die Delikte nach dem Strafgesetzbuch (kurz StGB) und Sondernormen unterschieden, das materielle Strafrecht.

Die Strafuntersuchung
95% aller Beschwerden während der Strafuntersuchung werden abgewiesen. Dies geht nicht zurück auf eine formell oder materiell schlechte Ausgangslage der Beschuldigten, sondern ist ein systemimmanenter Mangel des Verfahrens vor den Gerichten. Die Praxis der Gerichte und der Staatsanwaltschaft ist wirtschaftsfeindlich motiviert.

Kein Gericht und keine Behörde beurteilt die Angemessenheit der Strafuntersuchung. Die Strafuntersuchung rechtfertigt sich selbst. Verfahrensrechte, Unschuldsvermutung und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sind de facto ausser Kraft gesetzt.

Formelle Verfahrensrechte
Die grössten Defizite liegen in den formellen Verfahrensrechten des Beschuldigten. Diese werden mit wenigen Ausnahmen (rechtliches Gehör, Akteneinsicht, beides nur teilweise) den Beschuldigten nicht gewährt (Beweisverwertungsverbot, Ausstand, formell korrekte Beweisermittlung, Mitwirkung an der Sachverhaltsermittlung, etc.). Mir ist kein einziger Entscheid bekannt, beidem ein formeller Verfahrensmangel den materiellen Strafanspruch aufgehoben hätte. Was auch immer an unzulässigen oder illegalen Ermittlungen dem Verfahren zugrunde liegt, am Schluss wird der Sachverhalt materiell beurteilt.

Unschuldsvermutung; Schuldvermutung
Auf die Unschuldvermutung beruft sich am ehesten die Staatsanwaltschaft, um den angerichteten Schaden und das angestiftete Unheil zu relativieren. Einem Beschuldigten mit Unschuldsvermutung droht: eine Verhaftung, Untersuchungshaft, Aktenbeschlagnahme, Beschlagnahme aller Computer und damit Einstellung eines Betriebes, Vermögensbeschlagnahme, Kommunikationsverbot, Medikamentenentzug, Entzug der medizinischen Versorgung, Ächtung in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz, Verlust des Arbeitsplatzes, Einnahmenkonfiskation bis zum vollkommenen Einkommensverlust, Beeinträchtigung der Führung eines Unternehmens bis zum vollständigen Verlust aller Arbeitsplätze, Unwählbarkeit in öffentliche Ämter und Verwaltungsräte, Meldepflichten gegenüber Aufsichtsbehörden mit Entzug von Berufsbewilligungen, Negative Publicity und Medienschelte (auch als Shitstorm bezeichnet) sowie der Zwangsverkauf des Unternehmens zum Erhalt von Arbeitsplätzen. Der angerichtete Schaden ist dramatisch und erreicht schnell das 10 bis 100-fache der eigentlichen Strafe, sofern es je überhaupt zu einer Strafe kommt.

Unfaires Verfahren
Bei einem Strafverfahren fühlen sich die Behörden zu allem legitimiert. Alleine schon die Vermutung eines Deliktes setzt rigoroses Durchgreifen in Gang. Was nicht bewiesen werden kann, wird mit einer Annahme festgelegt.

Weitere Verfahrenshindernisse können unter anderem das Nicht-Befragen von Zeugen, die Einschränkung der Akteneinsicht, die Verweigerung von Beweisannahmen, die Abweisung von Gegenbeweisanträgen, das summarische Beweisverfahren zulasten des Beschuldigten, die Fristnot für den Beschuldigten oder ein Arrest sein.

Die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz KSBS weist auf die Notwendigkeit der Rechtsmittelbelehrung hin. Auf der Homepage gibt es Musterbefragungen, selbsterklärend mit dieser Rechtsmittelbelehrung. Die Rechtsmittelbelehrung, wie wir sie aus jedem amerikanischen Kriminalroman kennen, wird nicht praktiziert.

Zum strafbaren Champagnerkonsum
In einem Strafuntersuchungsverfahren kann schon sehr viel Fragwürdiges relevant sein. Die Staatsanwaltschaft prüft die Ausgaben und legt fest, was zulässig ist und was nicht.

Aus einem Bericht der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt bezüglich ungetreuer Geschäftsbesorgung: 

  • Strafbares Auto: „Korrektur des Leasings für den Range Rover, da ein solches Auto für diese Firma nicht notwendig ist (…).“
  • Strafbarer Porsche: „Reifenkauf für den Porsche korrigiert, da dieses Fahrzeug nicht betrieblich notwendig ist (…).“
  • Strafbare Bonuszahlung: „Bonus: Bei der Durchsicht der beschlagnahmten Unterlagen haben wir den Arbeitsvertrag gefunden, jedoch keine Unterlagen, die einen Bonus rechtfertigen würden.“
  • Strafbare Kundengeschenke: „Zusätzlich zur Lieferadresse erachten wir die Anzahl Flaschen als Indiz, dass es sich nicht um ein Kundengeschenk handelt, da 48 Flaschen als Kundengeschenk an eine Person weder verhältnismässig noch geschäftsüblich sind.“
  • Strafbarer Werbeclub: „Ein Jahresbeitrag für einen Verein für eine Privatperson ist kein geschäftlich relevanter Aufwand.“
  • Verbotener Champagner: „Kauf von Schaumwein ‚Bollinger’ (…) erachten die Anzahl der gekauften Flaschen, die Art des Produktes sowie auch der Flaschenpreis als ungeeignet und nicht verhältnismässig als Werbung.“
  • Strafbarer Lohn für die Ehefrau: „Mit jedem Mitarbeiter sollte ein offizielles Mitarbeitergespräch geführt werden. Frau xyz ist jedoch auf der Liste mit den Terminen für die Mitarbeitergespräche nicht aufgeführt.“

Fazit: Die Staatsanwaltschaft prüft die Angemessenheit und was sie nicht als angemessen ansieht, kann zu einer Strafuntersuchung führen. Es empfiehlt sich, keinen Champagner zu verschenken und ein preisgünstiges Auto zu fahren. Die Ehefrau bleibt Zuhause am Herd oder man führt mit ihr dokumentierte Mitarbeitergespräche mit klar definierten Hierarchien.

In dubio contra reo
Der Staatsanwalt muss von der Schuld der Beschuldigten ausgehen. Findet er nicht Bestätigung in einem Delikt, sucht er in den Akten nach einem anderen. Aus diesem Grund gibt es in den Dossiers nie Aktennotizen und Berichte, die ein Delikt positiv ausschliessen.

Das angelssächsische Recht und auch das deutsche Recht sind bezüglich formeller Rechte weitaus offener. Hier kann es schon mal vorkommen, dass eine Strafe aufgrund einer formellen Beurteilung nicht ausgesprochen wird, in der Schweiz undenkbar. Der materielle Strafanspruch geht über alles.

Fazit
Das Strafverfahren erfolgt nicht nach den Regeln eines fairen Verfahrens. Der Strafanspruch des Staates unterliegt keinen formellen Grenzen.

De lege ferrenda
Die kantonalen Staatsanwaltschaften sollten wie diejenige des Bundes einer Aufsicht und einer Aufsichtsbehörde unterstehen. Regelmässige Inspektionen sollten die Einhaltung von Verfahrensvorschriften überwachen.

„Dringender Reformbedarf in der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt“
Zum Thema mangelnde Aufsicht des Regierungsrates über die Staatsanwaltschaft finden Sie hier den Artikel des Autors, welcher am 18. März 2013 in der Basler Zeitung erschienen ist.

Publikation zum Steuerstrafrecht
An dieser Stelle der Verweis auf die jüngste Publikation des Autors: „Strafsteuern: Verfahrensrechte ausser Kraft“, welche am 18. November 2013 im plädoyer 6/13 erschienen ist.

Dr. iur. Bernhard Madörin

Der Autor ist promovierter Jurist, Revisions- und Steuerexperte. Er hat rund 20 Bücher veröffentlicht, den Grossteil auf dem Gebiete Gesellschaftsrecht, Steuern und Wirtschaftsprüfung. Herr Madörin ist in rund 50 Exekutivgremien und ist mit der Organisation und Kontrolle von grösseren Betriebseinheiten vertraut. Seine berufliche Tätigkeit führt ihn auch in den Bereich der Steuerdelikte (Expertisen, Analysen).